Textauszüge


Claudius Hagemeister "Tanne & Quadrat"

Claudius Hagemeisters Debut-Band "Tanne & Quadrat" versammelt eine Auswahl von Erzählungen, die in ihrer sprachlichen Prägnanz und Stilsicherheit, in ihrem oftmals hintergründigen und überraschenden Witz literarische Miniaturen darstellen, die nicht nur Alltägliches trefflich auf den Punkt bringen, sondern mitunter hinabgleiten in seltsam-surreal anmutende Szenerien. Die visuelle und akustische Genauigkeit, die Feinheit, mit der Hagemeister Berliner Idiome und Beobachtungen umsetzt, zeichnen seine Texte als zeitgemäße und intelligente Prosa aus.

Ackerhalle
"Ruthchen, wat kommt 'n der Rettich?" - Der Ruf wird von Kasse zu Kasse weitergereicht, bis von weit hinten die Antwort tönt: "1,99!" - "Danke, det dacht' ick ooch. denn wird det wohl stimmen, wenn schon zwee det dachten." Mit dem sicheren Gefühl, irgend etwas vergessen zu haben, verläßt Bodo das Geschäft und schleppt sich die Invalidenstraße entlang. Als er an einer roten Ampel zum stehen kommt, fragt er sich, ob es wohl Liebe sei, die ihm fehlt. Wenig später ist er erneut in der Ackerhalle und heftet an die "Von Kunde zu Kunde" überschriebene Pinnwand, direkt unter dem Zettel der Frau, die seit Wochen schon - offenbar vergeblich - "sexy rote Wildlederpumps" feilbietet, seine Anzeige.

Auszug aus dem Krimi "Babette"
Er hatte ausdauernd am Grund des Teichs gelegen, und er sah nicht gut aus. Man hatte ihm die Hände und an seine Füße eine Gehwegplatte gebunden. Mürrisch blickte der Kommissar in das aufgeschwemmte und in Auflösung begriffene Gesicht. Die Froschmänner - unerfahrene junge Wasserschützer - hatten sich abgewandt. Vom nahegelegenen Pavillon drang Musik herüber. "Wahrscheinlich tanzen dort blutjunge Damen mit pensionierten Kriminalkommissaren", dachte der Kommissar bitter. "Zermürbend", befand er, "ist nicht die eigene Arbeit, sondern der Feierabend anderer."

© Morpheo Verlag Berlin 1999



Uta Schürmann "Suche Nada"

Schon fast verblasste West-Berliner Orte wie der Tiergarten oder das Cafe Kranzler bilden die Schauplätze für die Heranwachsenden Nada, Zoe, Bo und Rimo und deren Streifzüge zwischen Dates und Liebe, Freundschaft und Veränderung. Mit klarem Blick hat die junge Autorin Uta Schürmann in "Suche Nada" ihre Figuren beobachtet, und beschreibt deren Lebenswelt mühelos in einer entwaffnend-unprätentiösen und film-schnellen Sprache.

Textauszug

Er wohnt direkt um die Ecke, in einem dieser Nobelapartements am Savignyplatz. Er ist nämlich so ein knetemachender Fotograf. Er präsentiert mir gleich die Nacktfotos seiner Ex-Freundinnen. Alles Models. Und dann ich. "Ach da hab ich den Dreh von Speed begleitet. Keanu ist echt'n netter Typ. Total relaxt." Dennis zaubert ein Foto hervor, auf dem er zur Hälfte zu sehen ist, daneben Keanu Reeves mit dem typischen "Erwischt!"-Gesichtsausdruck. Ich bin schon beeindruckt. Da liegen andere Fotos herum, mit einem Typen, der mit nacktem Oberkörper an einem Belichtungsmesser herumfummelt. "Hast du die auch gemacht?", frage ich betont interessiert. "Geht doch gar nicht, das bin doch ich!", antwortet Dennis und rückt vertraulich näher.

© Morpheo Verlag Berlin 2000



Hendrik Jackson "Einflüsterungen von seitlich"

klammern

wie zum letzten mal (beim letzten) klammern
die geweitete umrandung
das einflüstern von seitlich: ich wollte wohl
ein schatten werden.
dann diese abbilder, blättert es, zarte schnitte
winzige lamellen in
einander, blinzle ich sehe was dort auswächst
zu einem todtraum.

© Hendrik Jackson



Sönke Lars Neuwöhner "Sand liebt"

Sönke Lars Neuwöhner führt den Leser in seinem Roman "Sand liebt" durch das Ost-West-Berlin des Jahres 1992. Der Protagonist Lorenz Sand verkörpert dabei mit seinem fast konturlosen Charakter die merkwürdig-ratlose Aufbruchstimmung, die kurz nach der Maueröffnung in vielen Köpfen vorherrschend war. Sands Liebesgeschichte mit Nora und die Konfrontation mit deren aggressivem Freund Hundt bilden das Gerüst eines Zeitromans, in dem persönliche Befindlichkeiten und Zeitphänomene eine Verbindung eingehen.

Textauszug

Da ist es, dieses Gefühl von Glück, von Ewigkeit, ganz nah am Körper, ein halbes Pfund vom Paradies, mit dem man so wenig anzufangen weiß, wenn es schon einmal da ist. Es muss bereits eine Weile in der Nähe gewartet haben, zusammengefaltet wie ein Liebesbriefchen ohne Absender. Und plötzlich blättert es sich auf und flüstert mit Blümchenstimme: Lieber Mensch, ich hab die lieb, dein Leben. Spontane Spielchen, die das Glück so mag. Und wie es sich über seinen gelungenen Hinterhalt und an der Hilflosigkeit seines überraschten Adressaten freut, das Glück! Lorenz Sand zum Beispiel schnuppert an seinem Whisky und hört nicht auf zu schnuppern, so überwältigt ist er. Er möchte das Glück nicht durch vorschnelle Handlungen vertreiben. Also schnuppert er weiter an seinem Whisky, denn dabei hat das Glück ihn kalt erwischt.

© Sönke Lars Neuwöhner